Liebe Anna,
ach wie die Zeit vergeht. Meinen ersten großen Brief an dich habe ich vor vielen Monaten geschrieben. Jede Zeile noch immer aktuell und treffend wir damals. Dazwischen die Erinnerung und ein paar persönliche Nachrichten, Gedanken-Fetzen, manchmal ausschweifend und doch meist unvollständig. Einige Kontakte in Gesellschaft, stets wertschätzend, und doch die Tiefe missend, welche die intensiven Gespräche unter vier Augen oder Ohren innehaben. Jedes Gespräch davon für sich ein sich bewusst gewordener und erlebter Lebenshöhepunkt, eine Inspiration für nachfolgende Werke, Meisterwerke.
What Would Happen … ?
Was würde passieren …?
Musik begleitet mich, gibt mir Antworten, und stellt Fragen.
Diese eine Frage, „What would happen“, taucht offenbar immer wieder auf. Als Titel für einen Brief, den ich schon vor Monaten begonnen habe zu schreiben, zuletzt nach dieser wunderbaren Begegnung am See. Ein Gespräch, es nur episch zu nennen, würde seinem Ausmaß und seiner Tiefe nicht ansatzweise gerecht werden. Aus mehreren Gründen nicht. Aber der Reihe nach.
Einmal abgesehen davon, dass das letzte physische Zusammentreffen davor auch bereits Monate zurückliegt, war der Prolog im echten Leben dazu so umfangreich, dass es nicht nur Momente füllt, sondern für so manchen unserer Mitmenschen Lebensinhalt und -aufgabe sein könnte.
Dich deshalb zu beneiden, ein so reiches, vor allem aber auch abwechslungs-reiches und herausforderndes Leben zu führen, wird vermutlich schon passieren und passiert sein. Weil, und das sei hier nicht als Vorwurf postuliert, die allermeisten Menschen ganz einfach nur das Wesen über der Oberfläche sehen, den kleinen Eisberg, der in der Sonne glänzt, so schön. Wie der Erfolg, der darin zum Ausdruck kommt. Erfolg, der erarbeitet wurde, durch Schweiss und Disziplin, durch Arbeit an seinem Sein, mit seinem Tun; dies aber auch mit vielen Tränen, die den Eisberg letztlich formten und übers Wasser hievten, und welche unsichtbar für die meisten bleiben. Ein Leben, welches ja nicht nur die Freuden beinhaltet, sondern auch die Schatten zu sehen, anzuerkennen und die dunklen Täler zu durchschreiten sind. „Wo Licht ist, da ist auch Schatten“. Wie ein Grundgesetz, welches, wenn akzeptiert, uns gerde in dunklen Zeiten daran erinnert, dass das Licht da ist und gesehen werden will, es an uns liegt, es zu sehen. Es liegt, wie so oft, im Auge des Betrachters.
Und so gehört zum Reichtum wohl auch die Abwechslung, so ist das Leben wie eine Wellenbewegung, ein Auf und Ab, wo wir auch auf den Höhenflügen stets wissen, dass es wieder bergab geht, oft ins Ungewisse, nicht aber in die Verzweiflung, im Vertrauen, dass es dann auch wieder bergauf geht, in die Sonne.
So sehr wir uns manchmal wünschten, schöne Momente wie jene am See festzuhalten, so gewiss ist es auch, dass diese vorbeiziehen werden, und wir loslassen müssen, nein dürfen, um in Bewegung zu bleiben, nicht still zu bleiben, Stillstand zu erleiden.
Wenn in solchen Momenten als, wo das Glück im Bauch gefühlt wird und dies alles im Kopf bewusst wird; wenn es dann gilt, Abschied von diesem wirklich großen Moment zu nehmen, dem Abschluss eines großartigen Zusammentreffens zweier Seelen, nach ein paar Stunden Auszeit vom Alltag, eine kurze Zeit wohl, aber auch eine, die als Metapher für ein ein ganzes Leben stehen könnte; in anderen Dimensionen sich bewegend, sich Mut und Zuversicht durch Verständnis und echte Wertschätzung zugesprechend; wo bereits vor dem Ende der Wunsch und eine sonderbare Sehnsucht nach Fortsetzung da ist, wo auch Angst spürbar wird, diesen Moment zu verlieren, wo das Herz vor Freude beginnt zu klopfen wie wild, der unausweichliche Abschied aus dieser Szene naht, und doch mit einer wunderbaren Umarmung endet, der uns beide in unser beider Leben zurückkatapultiert; Wenn nun dieser immer wieder verdrängte, unanständige Gedanke, die unzulässige Frage auftaucht „What Would Happen …“; wenn dieser Moment nicht mit einer Umarmung enden würde.
Wenn der Verstand die Oberhand behält und Einhalt gebietet, das Schicksal durch unseren freien Willen nicht noch zusätzlich herauszufordern und zu strapazieren, und alles seinen einigermaßen vorhersehbaren Weg weiter geht, war das dann einfach vernünftig oder nur nicht mutig genug?
Folge deinem Herzen, das pocht, deinem Bauchgefühl, das uns schweben lässt, oder doch dem Verstand, der uns sagt, das ist alles net wirklich gscheit? Wem dürfen wir vertrauen, was glauben, was tun?
Und, was wäre wenn? Ja, was wäre wirklich, wenn?
Nun ja, in solchen Momenten könnten in Sekundenbruchteilen Glücksmomente entstehen, bereits vorgeschriebene Bücher zur Gänze verworfen und neu geschrieben werden, Freude aber auch viel Leiden und Schmerz entstehen.
Was, wenn der Empath in einem ausnahmsweise schläft und der Verstand das Gefühl von Dankbarkeit für das Gespräch und die Freude fälschlicherweise in eine nicht vorhandene Erwartungshaltung missdeutet? Man getäuscht ist, wobei, warum eigentlich?
Und was, wenn nicht?
Der Vorwurf an sich selbst, nicht mutig gewesen zu sein, was schon schlimm genug ist; aber auch nicht nur seinem Gefühl und seinem Herzen nicht vertraut, sondern sogar misstraut zu haben, sich selbst zu verleugnen steht im Raum. Eine Frage, die fast beiläufig entsteht, ist, ob jemals Kopf, Herz und Bauch auf derselben Linie sind, sein können, Entscheidungen in Übereinstimmung getroffen werden können?
Was überwiegt nun, ist es auch die Angst vor Enttäuschung, also Ent-Täuschung, das Ende einer Täuschung? Oder der Angst, etwas großartiges kaputt zu machen, eine Verbindung die Freude und Inspiration, Verständnis und Mut gebracht hat, empowered hat?
Die weitere Frage, ob und wie dich, diese, meine hier niedergeschriebenen und auch meine nicht ausgesprochenen oder fertig gedachten Gedanken beeinflussen, festhalten oder loslassen, blockieren oder helfen, dich weiter voran bringen?
Immer wieder das Gefühl, auch selbst davon gefangen genommen worden zu sein, aber auch jemanden, zu dem es offensichtlich eine besondere Beziehung oder Verbindung gibt, gefangen zu nehmen? Nach jeder Nachricht, wartend auf eine Rückmeldung, ein Lebenszeichen, welches, wenn es ausbleibt und nicht prompt erfolgt sukzessive fordernder wird? Zumindest hier habe ich festgestellt und erinnere ich mich auch immer wieder daran, loszulassen, die Erwartungshaltung auf sofortige Antwort, auf Antwort insgesamt. Die Freude ist dann umso größer, und ich wurde bisher ja auch nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil.
Letting go.
Loslassen.
Im Vertrauen zu bleiben, so leicht gesagt, geschrieben; Und doch eine permanente Herausforderung. Das „richtige“ zu tun, was aber nun ist das richtige?
Vermutlich, das Kopfkino wieder loszulassen, Schritte im Leben zu unternehmen, im Leben zu bleiben, dieses Leben anzunehmen. Die ohnedies bestehenden Herausforderungen zu meistern. Im Vertrauen zu bleiben, und einer ganz besonderen Seele auf diesem Planeten immer wieder mal zu begegnen, ohne Erwartungshaltung, bedingungslos und frei zu sein, um in diesem Momenten und Gesprächen wie auch im Nachhinein diese entsprechend zu erleben und zu würdigen.
Ehrlich zugegeben aber auch: Es ist schon eine besondere Schwierigkeit, vermutlich aber nicht nur für mich, einem Menschen, einer auf so vielen Ebenen so wunderbaren und schönen Frau und Seele von einem Menschen nicht bedingungslos zu verfallen.
Und da dies ja nur ein kleiner Liebesbrief und kein Roman sein soll, halte ich nun wieder inne und schließe in kurzen Worten.
Fühle dich umarmt und geliebt, du wunderbarer Mensch, Anna!