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Love Letters

25 Years And Half A World Away

Beim Feiern von Silvester bist du mir gleich aufgefallen. Nicht von hier. Als du dann plötzlich neben mir standst, raste mein Herz wie ich sonst auf der Autobahn.

Liebe Claudia,

ich sitze mal wieder im Flieger. Diesmal geht’s nach Nürnberg. Die Stationen für heute sind Fürth, Chemnitz und dann morgen noch nach Sandhausen, so der Plan. Der Rückflug ist noch nicht gebucht, es ist ja noch etwas Zeit und es könnte auch ein weiterer kurzfristiger Termin in Stuttgart oder Karlsruhe dazukommen.

„Die Welt ist ein Dorf.“

Ein vermutlich altes Sprichwort, welches angewendet wird, wenn man Bekannte in der weiten Welt trifft oder erkennt, über 2 oder 3 Ecken mit den allermeisten Menschen in Kontakt zu stehen.

Der Spruch ist alt und ich verwende ihn seit mindestens 25 Jahren, er passt aber gerade wieder einmal. Wie so viele andere Sprüche auch, mit denen ich schon meine beiden älteren Kids nerve. Noch häufig, aber immer weniger. Vermutlich verstehen sie den Sinn dann auch irgendwann einmal. Die Anzeichen sind da, aber schauen wir einmal. Die kommende Pubertät und so…

Also, ich sitze im Flieger, und in Kürze heben wir ab. Spotify wird gestartet und kurz und ich überlege kurz, was ich mir akustisch reinziehen möchte. Meine Wahl fällt auf R.E.M., die habe ich schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gehört. Schnell noch auf dem Weg zur Rollbahn den Shuffle Mode an, den Flugmodus nochmals deaktivieren damit zumindest ein paar Songs heruntergeladen werden können. Nach dem Abheben schalte ich dann wieder in den Flugmodus. Wir wollen ja heil ankommen. Nach den ersten „Hadern“ (sprich bekannteren Songs) sehe ich eher zufällig auf das Handy-Display, um zu sehen was als nächstes ansteht. Ich lese „ … 25th Anniversary … “ und während ich noch überlege, wann vor 25 Jahren war, ist plötzlich ist da so ein Gefühl im Bauch da. Vermutlich Schmetterlinge, und Erinnerungen.

Half A World Away.

Vor 25 Jahren, ich war damals gerade mal 16 und du, Claudia, soeben erst 15 geworden. Beim Feiern von Silvester bist du mir gleich aufgefallen. Nicht von hier. Als du dann plötzlich neben mir standst, raste mein Herz wie ich sonst auf der Autobahn. Du warst zu Besuch bei deinen Verwandten in unserer Nähe, aber schlappe 300 Kilometer entfernt wohnhaft. Auch wolltest du die Ausbildung zur Technischen Informatikerin an der HTL starten. Viele Parallelen. Fasziniert war ich, wie weit voraus du deinem Alter damals schon warst, die Themen über die wir gesprochen haben. Also nicht primär übers Wetter und so. Als Schüler in einer solchen Ausbildung und bereits im dritten Jahrgang konnte ich mit Erfahrungen und Tipps punkten, ich hoffe nicht angeben, und sehr vertrauten Gesprächen folgten Annäherungen, einige schöne Tage und eine letztlich, nach mehreren Monaten Fernbeziehung doch die Erkenntnis, dass das für so junge Menschen wie uns eine zu große Herausforderung war. Du warst Half A World Away und das war während der Schulzeit dann doch zu weit.

Während ich in Gedanken versunken bin, den Schmerz der Entfernung, letztlich aber weitgehend unerfüllten Liebe und Trennung nachfühle, legt Spotify nach und spielt „The One I Love, The One I left behind“. Ja, eh.

Und noch immer der passende Soundtrack. Ich bin fast begeistert, möchte die Erfahrung trotzdem nicht missen, auch nicht meine vor allen Klassenkameraden, Freunden und Eltern verheimlichte abenteuerliche Zugreise durch halb Österreich, ausgehend von einer Klassenfeier auf einer Hütte in der Steiermark, nach Salzburg zu einem kurzen, intensiven gemeinsamen abendlichen Spazierengehen entlang der Salzach, um danach die Nacht hindurch mit dem Zug über Villach wieder nach Hause ins Alpenvorland zu reisen. Ohne Mobiltelefon in den Neunziger-Anfangsjahren, die Zugkarte mit dem letzten Geld gekauft. Pleite sozusagen, zumindest bis zum nächsten Taschengeld.

Liebe Claudia, immer dann, wenn ich alleine und geschäftlich nach Salzburg gereist bin, und das war in den letzten 20 Jahren doch recht häufig, habe ich an dich und unsere Zeit gedacht, das zeitgleiche Gefühl von Sehnsucht und Unerfüllbarkeit war stets mit dabei. Schließlich bin ich auch verheiratet, glücklich, wie andere und ich meinen. Drei gesunde Kinder und, wie ich dem Internet entnehme, hast auch du deinen beruflichen Weg gemacht, so wie du dir das vorgenommen hattest. Aber dass du das schaffen wirst, war mir beim allerersten Kennenlernen schon klar. Als hätte ich es sehen können.

Das macht mich auch stolz und dankbar für die gemeinsame Zeit. Danke dafür. Bei Half A World Away, deinem damaligen Lieblingslied, denke ich noch immer an dich, auch im Vertrauen, dass es dir gut geht auf deinem Weg.

Life is a Highway. „I am not your rolling wheels, I am the Highway

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